Anmerkungen zum Film von Felix Benneckenstein
Der animierte Dokumentarfilm „Kleine Germanen“ (Start: Mai 2019) ist durchaus ein Film, der neue Wege gehen möchte – und sich dabei auch zunächst thematisch an eher außergewöhnlichen Dimensionen des Rechtsradikalismus bedient: An sogenannten völkischen Familien, speziell an der wahren Geschichte von Elsa*, einst selbst als kleines Mädchen durch den Großvater mit nationalsozialistischer Propaganda indoktriniert, später führende Neonazi-Aktivistin – und eben auch: Mutter & sogenannte „völkische Siedlerin“. Vermengen sich die Kämpfe um die Wiedererrichtung eines nationalsozialistischen Deutschlands mit familiären Strukturen, ist ein gezieltes Aufhetzen und Radikalisieren der eigenen Kinder in der Regel nicht mehr aufzuhalten. Eltern wie Elsa – sie ist lange ausgestiegen – begreifen dennoch, dass sie die Verantwortung nicht abgeben können – auch, wenn sie als Kinder eher Opfer, denn Täter waren.
Gewalt, Ausgrenzung, Drill & Gehorsam
Technisch / Darstellerisch reiht sich „Kleine Germanen“ in eine Vielzahl jüngerer Dokumentarfilme ein, die statt Szenen schauspielerisch nachzustellen, etwa das Erzählte von Protagonisten, mit Animationen und Zeichnungen arbeiten. Ohne dabei diesen Trend bewerten zu wollen: Für Elsas Erinnerungen sind die Zeichentrickanimationen die vermutlich beste Wahl. Ergänzend werden auch Kinder gezeigt, deren schauspielerische Leistung sich allerdings darauf beschränkt, dass sie einfach ganz normale Kinder in Alltagssituationen „spielen“. An dieser Stelle gibt es eine unbedingte Empfehlung, sich den Film anzusehen, denn vor allem die Gesichter ganz „normaler“ Kinder erinnern daran, worum es bei diesem Thema eigentlich gehen muss: Um Kinder, die um ein Stück ihrer Kindheit beraubt wurden, weil sie in einem Umfeld aufwuchsen, in dem physische und psychische Gewalt, Ausgrenzung, Drill & Gehorsam als legitime und „bewährte“ Methoden gelten, die in letzter Instanz auch den Kindern – Mädchen wie Jungen! – dabei helfen sollen, später den politischen Kampf um ein viertes Reich aufnehmen zu können. Es gibt unzählige Berichte emotionaler Verwahrlosung, offensichtlicher Kindeswohlgefährdung, roher Gewalt, Isolation von Kindern, die als „anders“ wahrgenommen werden – Eine Thematik also, die nähere und objektive Betrachtung dringend benötigt.
Allerdings zieht sich auch etwas anderes wie eine rote Linie durch den gesamten Film: Scheinbar wahllos werden immer wieder Bilder von PEGIDA-Demonstrationen oder AfD-Treffen gezeigt. Als „Neu-Rechts“ geltende Personen werden zwischen Elsas Berichten immer wieder eingeblendet und nach ihrer Kindheit befragt. Ob gewollt oder nicht: Da alle Bilder, die mit typisch völkischer Erziehung zu tun haben, stets Abstrakt sind, bekommen die Stimmen der Protagonisten aus dem „real life“ für den unbedarften Zuschauer ein höheres Gewicht. Während ein Kind Elsas aufgrund einer geistigen Behinderung aus der Gemeinschaft verstoßen werden soll, der gewalttätige Vater einer Tochter beinahe die Hand bricht, weil sie auf dem Flügel Lieder nicht-deutscher Künstler spielt, werden Personen von NPD bis „Identitäre Bewegung“ eingeblendet, die meist recht glücklich auf ihre eigene Kindheit zurückblicken, dessen Erziehung sich maximal im konservativen Bereich abgespielt zu haben scheint – Themaverfehlung.
Zur Einordnung: „Völkische Familien“ werden selbst in der militanten Kameradschaftsszene nicht selten belächelnd als „Völkis“ bezeichnet, als eine dem durchschnittlichen, öffentlich missionierenden oder subkulturell geprägten Rechtsradikalem Aktivisten durchaus mitunter suspekte Form, obgleich dieselbe Ideologie zugrunde liegt. Das bedeutet: Streng völkisch lebende Kreise, die sich von der Gesellschaft abkapseln, um innerhalb verschwörerisch verbündeter Familien Volksgemeinschaft zu spielen, sind in der Form, wie sie im Film behandelt werden, ein Randphänomen. Die meisten Organisationen im Film haben Phantasienamen, auch, wenn man sich schnell ausmalen kann, welche jeweils eigentlich gemeint sein dürften. Einzig die 2009 durch den damaligen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble verbotene „Heimattreue Deutsche Jugend e.V.“ (HDJ) wird namentlich genannt. Die Organisation verstand es, eine streng hierarchische Struktur mit klarer Aufgabenverteilung und Funktionären aufzubauen, dennoch aber gegenüber der Öffentlichkeit enormen Wert auf Klandestinität zu legen. Eben auch, weil ein Gros der Mitglieder nicht den Weg der isolierten Siedler ging, sondern im normalen Alltag durchaus Wert auf ihren Platz in der vielbeschworenen „Mitte der Gesellschaft“ legte. Die Zahl der Mitglieder soll zum Zeitpunkt des Verbotes bundesweit ca. 400 betragen haben, im selben Jahr ging das Bundesamt für Verfassungsschutz von 30.000 aktiven Rechtsradikalen aus, vor allem die letztgenannte Zahl ist im Grunde kaum zu überprüfen, allerdings darf sie als richtungsweisend betrachtet werden.
Ideologie, Willkür, Gewalt und Hasspropaganda
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Die Gefahr, die von diesen Kreisen vor allem für Kinder und Jugendliche ausgeht, die Ideologie, Willkür, Gewalt und Hasspropaganda schutz- und alternativlos ausgesetzt sind, ist enorm und darf nicht unterschätzt werden. Sollte aber nicht genau deswegen dieser Form des Rechtsextremismus immer eine gesonderte Form der Aufmerksamkeit geschenkt werden? Die Schicksale dieser Kinder taugen schon nicht zu einem Gesamtblick darüber, wie die bundesdeutsche Neonaziszene agiert, noch weniger sinnvoll allerdings ist es, anhand der Geschichte von Elsa den Bogen zu sogenannten „Neurechten“ zu spannen, die sich maßgeblich aus AfD und PEGIDA zusammenschließen. Die gewollte Intention dürfte eine verschärfte Warnung vor erstarkenden Rechtspopulisten sein, nach dem Motto: Aus sowas (AfD) wächst sowas (HDJ). Resümiert man jedoch am Ende des Filmes und ist in die Thematik nicht hinreichend involviert, ist die Gefahr einer Relativierung nationalsozialistischer Erziehung und Ideologie mindestens gegeben.
Es wird etwa mehrfach Martin Sellner befragt, nach Eigenangaben „Chef“ der „Identitäre Bewegung Österreich“, besser aber bekannt als Youtuber, der das berühmte „Wiener Schnitzel“ – wenig traditions- und geschmacksbewusst – in Olivenöl brät und nicht nur bei dieser Gelegenheit über angeblich tägliche Repressionen gegen sich selbst berichtet, die er selbst provoziert. Wenig überraschend ist Sellner auf Nachfrage im Film ebenfalls ganz zufrieden mit seiner Kindheit. Der eigentliche Höhepunkt Sellners dürfte immer dann aufkommen, wenn seine Videos die 50.000 Klicks-Marke erreichen – oder eben, wenn er es in große TV-Shows und Dokumentationen schafft. Dem Geltungsdrang jedes einzelnen Rechtsradikalen zu entkommen dürfte nicht möglich sein, wenn man über das Thema berichtet – so viel Verständnis muss sein. Allerdings ist neben inhaltlicher Auseinandersetzung vor allem die Differenzierung wichtig: Gerade in Deutschland müssen neonazistische und nationalsozialistische Strukturen immer mit besonderem Augenmerk betrachtet werden.