Erfolgreiche Gegenstrategien in der Auseinandersetzung mit freiheitsfeindlichen Ideologien

Von Fabian Wichmann

Vielerorts marschieren Neo-Nazis regelmäßig durch Städte und Gemeinden. So wie z. B. seit über 20 Jahren in der kleinen Stadt Wunsiedel in Oberfranken. Trotz zahlreicher Proteste der Bürger und Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht nutzen Neo-Nazis die Stadt immer wieder als „Wallfahrtsort“. Der Grund: Bis 2011 existierte dort das Grab von Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß. Die Gedenkmärsche wurden dabei zu einer festen Institution der Szene. Die Reaktionen auf Demonstrationen sind zum Teil sehr ritualisiert und beruhen auf bekanntem oder erwartbarem Kommunikationsverhalten. Insbesondere bei Neonazi-Demonstrationen sind Eskalationen Bestandteil des Konzeptes. Die Inszenierung als ‚Saubermann’, in Abgrenzung zu den Gegendemonstranten, hat dabei nicht nur die positive Außenwirkung als Zielsetzung, sondern wirkt auch stabilisierend in die Gruppe hinein. Ausgehend von dieser Situation galt es zu überlegen, wie man einen Gegenprotest umsetzen kann, der nicht aggressiv, jedoch aktiv, durchaus provokativ und mit einer deutlichen Stellungnahme verbunden, ein Zeichen setzt. Dabei war es wichtig eine Narration zu entwickeln, die die vorgefundene Situation konterkariert und dem eine neue, größere Narration entgegenstellt. Ironie und Witz sind dabei Mittel, die die Möglichkeit bieten, ernsthafte Sachverhalte darzustellen und im Sinne des Gegenprotests anschlussfähig zu machen.

Rechts gegen rechts – Der unfreiwilligste Spendenlauf Deutschlands

Rechts gegen rechts – Der unfreiwilligste Spendenlauf Deutschlands ist eine Form des Gegenprotestes auf Neo-Nazi Demonstrationen. Die Demonstranten geben unfreiwillig, zuvor bereitgestellte Spenden durch ihre Anwesenheit frei. Die Idee basiert auf der Subversion der eigentlichen Demonstration: wenn man sie schon nicht davon abhalten kann zu demonstrieren, so soll man sie wenigstens für etwas Sinnvolles laufen lassen, zum Beispiel gegen sich selbst. Die entwickelte Idee stellt die Demonstranten vor ein Dilemma: entweder Abbruch der Demonstration oder unfreiwilliges erlaufen von Spenden, für einen Verein oder eine Organisation, die sich gegen Rechtsextremismus engagiert. Die Demonstranten werden dabei zu Statisten ihrer eigenen Demonstration und neben der Hilfe durch die gesammelten Spenden wird ihr Demoanliegen satirisch und friedlich konterkariert. Zum ersten Mal wurde diese Aktion im November 2014 in Wunsiedel umgesetzt. Für jeden gelaufenen Meter gingen 10 € an EXIT-Deutschland. entlang der Demonstrationsstrecke wurden Plakate und Banner befestigt, welche ironisch auf die Aktion mit „motivierenden“ Sprüchen Bezug nahmen. Zum Beispiel: „wenn das der Führer wüsste“ und „Flink wie Windhunde, zäh wie Leder – und großzügig wie nie!“ Die Strecke wurde zuvor mit den jeweiligen Spendenständen besprüht. Am Ziel gab es für die Teilnehmer Urkunden sowie Konfetti. Diverse Medien berichteten über den Protest. Die ursprünglich bereitgestellte Spendensumme in Höhe von 10.000 Euro wurde während des Marsches fast verdoppelt. nach Wunsiedel sind durch diese Mechanik mehr als 47.000 Euro für Projekte in den Bereichen Migration und Rechtsextremismusprävention gespendet worden.

#HassHilft

Die Idee ist die digitale Fortsetzung von „rechts gegen rechts“. Die neue Initiative steht unter dem Motto „Hass hilft“. Denn Hass hilft hier wirklich. Diverse Partner und Nutzer stellen Mittel zur Verfügung, die in unfreiwillige Spenden verwandelt werden. Für jedes entdeckte Hass-Posting wird ein Euro aus dem bereitgestellten Geld gespendet. Und zwar für die Aktion Deutschland Hilft und EXIT-Deutschland. Je mehr Hass, desto mehr Spenden. Damit stecken nun nach den Neo-Nazis in Wunsiedel auch Online-Hasser in einer Zwickmühle: entweder sie hören auf, fremdenfeindliche Kommentare zu posten – oder sie sammeln mit jedem Post Geld gegen ihre fremdenfeindlichen Interessen. Mit einem eigens programmierten Tool, das den Seitenadministratoren zur Verfügung steht, kann “auf Knopfdruck” jeder Hasskommentar in eine Spende umgewandelt werden. Darüber hinaus wurde eine Internetseite für die Aktion erstellt. Hier ist der aktuelle Spendenstand einzusehen, die letzten Hass-Posts werden veröffentlicht sowie eine “Top-Ten-Liste” der eifrigsten Hass-Poster und Tipps zum Umgang mit Hasskommentaren gegeben. Über die Facebook-Seite der Aktion können die Nutzer Kontakt aufnehmen, die Aktion unterstützen und damit einen aktiven Beitrag in der Auseinandersetzung mit Hass im Netz leisten. nach mehr als eineinhalb Jahren, wurde die Aktion vielfach ausgezeichnet und bis Mai 2017 konnten mehr als 50.000 Euro an Spenden gesammelt werden. Die Reichweite der Facebook-Seite reicht von 250.000 Nutzern die Woche bis zu über einer Million.

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Operation Trojaner-Hemd

Wie erreicht man eine Zielgruppe, die relativ abgeschottet agiert und kommuniziert mit einer Nachricht, die ihre Weltanschauung in Frage stellen soll — und das in gewohnter Umgebung und mit einem Überraschungseffekt? Mit einem trojanischen T-Shirt. Die Idee dahinter ist alt – unser Trojaner allerdings kein Pferd, sondern ein T-Shirt. Die T-Shirts bzw. t-Hemden im Szenejargon wurden am 06. August 2011 in Gera auf dem Rechtsrockfestival „rock für Deutschland“ vom Veranstalter an der Kasse kostenfrei verteilt. erst in den eigenen vier Wänden offenbarten die T-Shirts ihre wahre Absicht: der Aufdruck mit einem Totenkopf, der Aufschrift „Hardcore Rebellen“ und den geschwenkten Fahnen der Freien Kräfte verschwand nach dem waschen und sichtbar wurde die Botschaft „was dein T-Shirt kann, kannst Du auch — wir helfen Dir Dich vom Rechtsextremismus zu lösen. EXIT-Deutschland“. Über eine fiktive Person, die vorgab, sich aus dem politischen Kampf zurückgezogen zu haben, aber dennoch den politischen Kampf unterstütze, suchten wir den Kontakt zur NPD Thüringen. Die Pakete wurden von uns 4 Tage vor dem Festival bei der Post aufgegeben, die T-Shirts am Eingang von den Veranstaltern verteilt und bereits 24 Stunden später kursierten innerhalb der Szene die ersten SMS mit folgender Warnung: „Achtung Fälschung! Gestern wurden auf dem RfD T-Shirts verschenkt, die unter dem Aufdruck Hardcore Rebellen eine Botschaft von exit, dem staatlichen Aussteigerprogramm haben. Diese Botschaft wird erst nach dem waschen sichtbar. exit hat hier mehrere tausend euro Steuergeld verschwendet“(sic.). Am Montagmorgen fand sich der Hinweis auch auf der Facebook-Fanseite des Festivals und die Szene diskutierte die Aktion. Die Beiträge zeigten, dass die Aktion ihre Zielgruppe erreicht hat. Die „Operation Trojaner t-Hemd“ war ein Element, um die rechtsextreme Szene direkt anzusprechen und das Angebot von EXIT bekannt zu machen. Selbstredend werden diese Aktionen in der Situation keinen Rechtsextremisten dazu bringen, seine Ideologie von heute auf morgen zu überdenken, dennoch speichert sich EXIT-Deutschland in den Köpfen ab.

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Re-write the rules instead of playing along.

Die beschriebenen Aktionen haben gemeinsam, dass sie zum einen das Angebot von EXIT auf eine leichte und witzige Art transportieren. Direkt an die Zielgruppe und auf humorige Art machen sie auf Probleme aufmerksam und zeigen Möglichkeiten der Auseinandersetzung. Insbesondere über die satirische Form der Kommunikation werden bekannte, ritualisierte Kommunikations- und Verhaltensmuster gebrochen, das eigentliche Anliegen oder die angestrebte Inszenierung konterkariert. Das narrativ des Heldengedenken in Wunsiedel wurde über die Aktion dekonstruiert und anschließend zu einem neuen narrativ rekonstruiert. Die beschriebenen Beispiele leben dabei von Kommunikation und Interaktion. Daher ist es wichtig, den Adressaten zu kennen und zu analysieren, die von den Gruppen genutzten narrativen und die Sprache bzw. Symboliken zu kennen, um diese zu nutzen. „re-write the rules instead of playing along“ ist in diesem Sinne wörtlich zu nehmen, um Irritation beim Adressaten zu erzeugen und die Situation in einen neuen Kontext zu setzen und den Adressaten zu einem Statisten werden zu lassen. Letztlich Bedarfes es auch etwas Glück und Inspiration.

Zuerst veröffentlicht im Kranich

Fabian Wichmann ist Fallbetreuer bei EXIT-Deutschland. Er hat Erziehungs-wissenschaft studiert, diverse Fach-artikel zum Thema Rechtsextremismus verfasst und ist Itinitiator der vielfach prämierten Initiativen Rechts gegen rechts und #HassHilft. Der Berliner arbeitet sein zehn Jahren bei der Neonazi-Aussteigerorganisation EXIT und war von 2012 bis 2016 Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft „Ausstieg zum Einstieg“.