Die Szene und damit all die Freunde zu verlassen, welche mit den Jahren zu einer Art Ersatzfamilie aufstiegen, fällt auch mit der Einsicht nicht leicht, dass die eigenen politischen Ziele nicht mehr mit denen der einstigen Glaubensgenossen übereinstimmen. Die Devise “du bist nichts, dein Volk ist alles” ist es, welche die Individualität des Einzelnen unter die – selbst erwählte – Doktrin der totalen Selbstaufopferung sublimiert. Ein Leben zwischen Demonstrationen und Abenden in kameradschaftlicher Runde verwehrt somit den Platz für Menschen, welche nicht das Kredo der eigenen Ansichten teilen. Daher ist der Bruch mit den politischen Idealen auch immer ein Bruch mit dem gesamten sozialen Umfeld. Ein Schritt, der das ganze Leben zum Besseren verändert, aber doch nicht leicht zu gehen ist. Tag ein, Tag aus, mit den Fragen der Vergangenheit im Sinn und den Blick auf eine ungewisse Zukunft gewandt, nicht mehr in den alten, alles vernichtenden Alltag zurückwollend, doch auch noch nicht im neuen Leben angekommen, kreisen die Gedanken darüber, wie es weitergehen soll.
Den Hörer nun doch gepackt und die Nummer gewählt, meldet sich die Stimme: „Hallo, hier EXIT Deutschland, was können wir für Sie tun?“ Zuerst noch verhalten, doch schnell durch die aufgeschlossene und kompetente Person am anderen Ende der Leitung ermutigt, ist so ein Gespräch möglich, in welchem in Kürze der Punkt und damit das Ziel des Anrufs erreicht ist: „Ich bin in der rechten Szene, aber das kann nicht so weitergehen, ich möchte hier raus.“ Was aus diesen (oder ähnlichen) wenigen Worten folgt, ist ein langes und emotionales Telefonat; die Zeit in der Szene, der Einstieg und die Abkehr von den so lang propagierten Idealen sind der Inhalt. Da eine solche Unterhaltung bei weitem nicht den vielen Gesprächsstoff zu fassen vermag, wird nun ein persönliches Treffen geplant. Erwartungsvoll, doch auch voller Ängste, was der Tag wohl bringen würde, ist der Gang zum Büro von EXIT ein weiterer Schritt zur Aufarbeitung der Vergangenheit und damit eine Hinwendung zu einem neuen Leben. Via Telefon oder Mail – wer einen offenen Austausch über seine Zweifel sucht, kann diesen auf vielen Wegen finden.
Früher war eines klar: „Die staatlichen Organe sind gegen uns und benutzen dich. Sobald du alles ausgepackt hast und keinen direkten Nutzen mehr bringst, kannst du auch nichts Weiteres erwarten.“ Diese Meinung ist es, die durch die ständig forcierte Feindschaft zwischen uns und den anderen in die Köpfe eingedrungen ist. Gerade im Ausstieg und somit dem Bruch mit den alten Dogmen ist es das Ziel, mit Außenstehenden, neutralen Menschen zu sprechen, die nicht der Gruppe der einstigen Gegner angehören. EXIT war die Wahl, die alles zu vereinigen vermochte – Kompetenz, Erfahrung, Neutralität und persönliches Engagement.
Nun steht dieses Programm nur einen Schritt davor, seine Ausstiegsarbeit einstellen zu müssen, da die bisherige Förderung in Kürze ausläuft. Nach den letzten Jahren, in denen rechtsradikale Straftaten in Qualität wie Quantität neue Höchststände erreichten, ist es schlichtweg unverständlich, dass die de facto Einstellung dieses Projektes zur Diskussion steht.
Aus eigener Erfahrung weiß ich die Arbeit von EXIT zu schätzen und hoffe auf den Fortbestand von EXIT, das einen erheblichen Anteil zum Erhalt einer demokratischen und freiheitlichen Gesellschaft zu leisten im Stande ist.
Der erste Schritt wird durch die Ausstiegswilligen begangen; um einen neuen Lebensweg beschreiten zu können, braucht es jedoch Hilfe – EXIT-Deutschland bietet diese.
_Steven (studiert soziale Arbeit)