Von Matthias Adrian (2004)
Teil I: Der Weg in den Rechtsextremismus
Der Lebenslauf von Matthias Adrian ist gespalten: In seinem alten Leben glaubte er an rechtsextreme Parolen und Weltbilder und war aktives Mitglied der Jungen Nationaldemokraten (JN), der Jugendorganisation der NPD. Heute engagiert sich Adrian gegen Rechtsextremismus: Er betreibt ausstiegsorientierte Jugendarbeit bei der Aussteigerinitiative EXIT. Die rechtsextreme Weltanschauung ist sein Lebensthema geblieben. Seine Arbeit sieht er als Wiedergutmachung – an der Gesellschaft und an sich selbst.
bpb: Herr Adrian, Sie waren von 1997 bis 2000 aktives Mitglied bei den Jungen Nationaldemokraten (JN), der Jugendorganisation der NPD. Verfassungsschützer schätzen die JN als rechtsextrem ein, mit starkem neonazistischen Potential. Wieso haben Sie in diesem radikalen Umfeld ihre politische Heimat gefunden?
Adrian: Ich komme aus einem sehr konservativen Elternhaus, wo gewisse Vorstellungen üblich waren – zum Beispiel solche über die „saubere Wehrmacht“ oder dass nicht alles schlecht war im Dritten Reich. Ich bekam Probleme in der Schule, als ich meinen Lehrern gegenüber solche Äußerungen machte. Das fing an mit zehn oder elf Jahren. Vielleicht hätten sich meine Lehrer anders mit mir auseinandersetzen müssen – so bekam ich bald die Antworten auf meine Fragen aus rechten Publikationen wie der „Nationalzeitung“. Dort fand ich eine Erklärung, warum die Lehrer etwas anderes erzählten als mein Opa, der ja Zeitzeuge war: Seit 1945 werde das deutsche Volk umerzogen und Medien und Lehrer stecken unter einer Decke. Für mich war klar: Der Lehrer will mich umerziehen.
bpb: Damals waren Sie noch sehr jung. Von dort ist es ein weiter Schritt bis zum JN-Beitritt mit Anfang 20.
Adrian: Das war eine langfristige Entwicklung. Durch den ständigen Kontakt mit den Medien der rechtsextremen Parteienlandschaft kam es dazu, dass ich ein rechtes Weltbild aufgebaut habe. Mit 14 Jahren habe ich meine erste Kameradschaft – oder was ich damals dafür hielt – gegründet. Das war so ein Zwischenspiel, in der Pubertät hat mich Politik nicht sehr interessiert. Aber etwa mit 21 Jahren habe ich festgestellt: Das ist meine Meinung, und ich muss jetzt eine Art Sprachrohr dafür finden. Durch die ständige Selbstindoktrination war ich sehr radikal geworden, nationalsozialistische Ideologiemomente wurden wichtig. So blieb für mich nur die NPD als radikalste Kraft übrig.
bpb: Und dann haben Sie sich irgendwann bei der NPD vorgestellt?
Adrian: Erste Kontakte kamen über Demos. Da hat man Leute kennen gelernt, auch solche in Führungspositionen. Mit dem Mitläuferumfeld, also mit den Skinheads und so, konnte ich nie etwas anfangen. Die waren zu weit weg von meiner konservativen Wertewelt. Für mich war das unmöglich, dass man als Deutscher mit Jeans rumläuft. Auch das Sozialverhalten in der Skinheadszene sprach mich nicht an. Ich bekam relativ schnell Kontakt mit der ideologischen, mit der so genannten Scheitel-Szene. Ideologisch war ich da schon auf einem hohen Level, weil ich seit dem 13. Lebensjahr fast nur aus rechten Quellen geschöpft habe.
bpb: Sie sind schnell integriert worden?
Adrian: Ich wurde auf einen Schulungsabend eingeladen, und der ging dann den Schritt weiter, den die „Nationalzeitung“ nicht gehen kann, um legal zu bleiben. Da wurde über die zionistische Weltverschwörung, die Kapitalverschwörung des Weltjudentums unterrichtet. Ich begann dann auch, Gastartikel in Szenezeitschriften zu schreiben. Und irgendwann hieß es: Wir bauen in Hessen einen neuen Landesverband auf, und ich könne dort eine Funktion übernehmen und mich mehr politisch betätigen.
bpb: Sie waren im Landesvorstand der JN in Hessen. Was waren ihre Aufgaben?
Adrian: Zunächst war ich Ordnerdienstleiter. Ich habe immer spöttisch gesagt, ich bin Glatzendompteur. Ich habe darauf geachtet, dass sie auf Demos Viererreihen bilden, nicht anfangen, den rechten Arm zu heben oder verbotene Parolen zu grölen. Aber ich habe auch im Vorfeld von Parteifeiern mitgewirkt, mal einen Kranz für den Rudolf-Hess-Gedenkmarsch besorgt oder Plakate in Auftrag gegeben. Mir wurde dann die Landesorganisation für Südhessen angetragen. Als später einmal ein V-Mann kam und sagte, der Verfassungsschutz möchte ihn anwerben, war ich zum Beispiel dafür verantwortlich, welche Informationen er weitergeben darf und dass das Geld an die Parteikasse abgeführt wird.
bpb: Die Ausschwitz-Leugnung oder das Zeigen nationalsozialistischer Symbole stehen unter Strafe. Wurden Sie mit solchen Straftaten konfrontiert?
Adrian: Ja, ich habe sie selbst begangen. Offiziell wird sich die NPD immer von Straftaten distanzieren und sie werden auch nicht direkt von der NPD angeordnet. Aber sie kommen halt immer wieder aus dem Umfeld. Es gibt Schulungen, die sich mit Holocaust-Leugnung oder mit antisemitischen Themen beschäftigen. Die werden nicht als offizielle NPD-Schulungen abgehalten, obwohl die Mehrheit dort NPD-Mitglieder sind. Die Partei hat gelernt, nicht unbedingt Verbotsgründe zu liefern. Wenn man unter sich war, wurde Tacheles geredet. Da wurden Hitlergeburtstage gefeiert, wo komplette NPD-Landesvorstände mit NSDAP-Parteizeichen und Armbinde herumsaßen.
bpb: Ist die NPD eigentlich ideologisch, wird da viel theoretisch gearbeitet?
Adrian: Ja sehr. Ich denke, es ist die einzige rechtsextreme Partei, die auch wirklich eine ideologische Ausrichtung hat, die extrem demokratiefeindlich ist. Ganz oft wird bei der NPD von der „Reichsidee“ gesprochen. Das heißt, sie wollen wieder ein deutsches Reich aufbauen und das wird auf keinen Fall in demokratischen Strukturen ablaufen. Es gibt enge Verflechtungen mit dem Thule-Seminar vom Pierre Krebs. Dann ist da der Chefideologe der NPD, Herbert Schweiger aus Österreich, der selbst aus der SS kommt, und auch das Deutsche Kolleg von Horst Mahler hat Einfluss.
Das Interview führte Klemens Vogel im Juni 2004.
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