Was haben »brisante« und »heikle« Personalien mit Willkommenskultur zu tun? Auf den ersten Blick erst einmal gar nichts. Auf den zweiten Blick hingegen, offenbart sich ein Zusammenhang, der wie eine Bankrotterklärung demokratischer Grundprinzipien in unserem Land wirkt. Höchste Zeit, eine Verrücktheit in die Schranken zu weisen.
Manchmal kommt der alltägliche Irrsinn auf leisen Sohlen daher und wirkt erst einmal wie eine Randnotiz. In der märkischen Onlinezeitung (MOZ) vom 19.04. 2016 ist unter der Überschrift »Heikle Personalie im Rathaus« zu lesen, dass der neue Angermünder Stadtarchivar Steve Schmidt Mitglied im NPD-Kreisvorstand Oberhavel gewesen sei, aber bereits vor zwei Jahren ausgestiegen ist. »Im öffentlichen Dienst ist diese Vergangenheit ein Makel, der bleibt.«, schreibt Redakteurin Daniela Windolff.
Kopf ab – eine zweite Chance wird es nicht geben
Im konkret vorliegenden Fall bedeutet der Makel, dass Steve Schmidt vom Dienst freigestellt wurde und der Sachverhalt durch den Bürgermeister und die Personalverwaltung geprüft wurde. Am Ende dieser Prüfung stand nun die Entscheidung, dass der Angermünder Chefarchivar nach seiner Probezeit durch die Stadt nicht weiter beschäftigt wird.
Dass der brandenburgische Verfassungsschutz gegenüber der MOZ-Redaktion bestätigt, dass es seit dem Ausstieg von Schmidt »keinen Hinweis auf Aktivitäten oder Funktionen von Schmidt im Zusammenhang mit der NPD gegeben habe« und es auch keine »relevante Hinweise zur Personalie Schmidt« gebe, spielt bei Entscheidung offenbar keine Rolle. Auch scheint es völlig egal zu sein, dass sich der 26-jährige inzwischen auch öffentlich von seiner früheren politischen Einstellung distanziert hat und im Ausstiegsprozess professionell vom Ausstiegsprogramm EXIT betreut wurde. Kopf ab – eine zweite Chance wird es nicht geben, so die Entscheidung von Bürgermeister Wolfgang Krakow (SPD).
Fast wie Hohn, wirkt in diesem Zusammenhang der Hinweis Krakows, dass Schmidt es schließlich versäumt habe, mitzuteilen, dass er ein ganzes Jahr Mitglied der NPD gewesen sei. Selber schuld, oder was möchte der SPD-Bürgermeister damit sagen? Dass Parteimitgliedschaften allgemein hin, zumal auch noch längst hinter sich gelassene, in einem Bewerbungsprozess keine Rolle zu spielen haben – in Angermünde scheinen die Uhren in dieser Beziehung anders zu ticken. Ist so ein Handeln wirklich das Zeichen einer vitalen Zivilgesellschaft, wenn man Menschen beruflich ausgrenzt, weil sie einen politischen Weg gegangen sind, den sie heute für falsch halten? Nein, wohl kaum. Die Demokratie ist nicht nur von denen bedroht, die Demokraten tätlich angreifen. Demokratie wird auch von jenen bedroht, denen die Demokratie offenbar egal ist und deren Paradigma der Freiheit und Würde nicht so genau nehmen.
Rituale statt Lösungen
Nun könnte man meinen, dass der Fall Angermünde ein bedauerlicher Einzelfall ist. Das hier ein Bürgermeister weit über das Ziel hinausschießt und sich dabei selber verrannt hat. Leider ist das nicht so. Immer wieder müssen Menschen, die sich für einen Schlussstrich mit ihrer rechtsextremistischen Vergangenheit entschieden haben, die Erfahrung machen, dass es keine berufliche Perspektive für einen Neuanfang gibt. Das wirft Fragen danach auf, wie Ernst es der Zivilgesellschaft am Ende ist, Extremismus wirksam entgegenzutreten?
Gerade erst wurden im Bundesfamilienministerium die Mittel des Bundesprogramms »Demokratie leben! Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit« verdoppelt. Statt aktuell rund 50 Millionen Euro soll das Bundesprogramm von 2017 an 100 Millionen Euro jährlich bekommen. Zu welchem Zweck? Was soll so ein Mitteleinsatz bringen, wenn die Gesellschaft nicht in der Lage ist, Menschen, die ihre extremistische Vergangenheit hinter sich lassen, wieder in die Gesellschaft zu integrieren? Eine Willkommenskultur für ehemalige Extremisten gibt es nicht.
Politik und Zivilgesellschaft gefallen sich im Kampfmodus, markieren den Starken und sperren die Realität aus. Sie legen sich gegenseitig die Hände auf und gefallen sich in dem beruhigenden Habitus, auf der vermeintlich richtigen Seite zu stehen. Nicht selten, greifen ernannte ‚Demokratieverteidiger’ zu Gewalt. Völlig überfordert wirken sie aber in dem Moment, wenn ein Rechtsextremist sich aus seiner Ideologie verabschiedet. Nicht selten hat man den Eindruck, dass das der Supergau für diejenigen ist, die es inzwischen vorzüglich gelernt haben, sich in der Welt der eingeübten Selbstbestätigungsrituale gemütlich zu machen. Ein ehemaliger Extremist stört diesen Frieden. Eigentlich möchte man lieber unter sich sein. Alles in allem, ist es ein verhältnismäßig gut gefördertes Kreisen um die eigene Umlaufbahn.
Uns als den betroffenen Betrachtern bleibt das Staunen mit offener Kinnlade über so viel daseinsfromme Selbsteinkehr, eine derart offensive Realitätsverkehrung auf dem Gipfelpunkt eines drastischen Anstiegs extremistischer Straftaten in unserem Land.
Gesundbeten ist eine alte Heiltradition und vielleicht sogar besser als der allgemeinschlechte Ruf, der dieser Methode anhängt. Ob es allerdings in Sachen Bekämpfung des Rechtsextremismus etwas bringt, muss bezweifelt werden. Das routinierte Aufsagen der immer gleichen Floskeln, das ritualisierte Beschwören des Rechtsstaates, das gebetsmühlenartige Wiederholen des Irrtums, dass Bekämpfung des Rechtsextremismus fast nur eine Aufgabe von Polizei und Verfassungsschutz sei – alles kommt wie ein feststehendes Dogma daher. Rituale statt Lösungen!
Signale für eine Willkommenskultur fehlen
Der ehemalige Extremist taugt lediglich als Abschreckungsobjekt. Besonders gerne wird er an Schulen herumgezeigt, darf über seinen Lebensweg berichten und man spürt die Unbeholfenheit im Umgang mit ihm. Alles ist wie ein bisschen Horrorshow. Man spürt förmlich den pädagogischen Zeigefinger der auf die Schülerinnen und Schüler herabsaust: So dürft ihr nie werden.
Das spricht nicht dagegen, dass es sinnvoll ist Gespräche zwischen Schülern und ehemaligen Rechtsextremisten zu gestalten, um über die Grundwerte des demokratischen Zusammenlebens zu erörtern.
Journalisten haben ihn auch lieb, so lange er als Kronzeuge das bestätigen kann, was man sowieso schon glaubt über Extremismus zu wissen. Hier ist er dann ein geeignetes Vorführobjekt. Mit der Frage, was danach kommen kann, ist er dann aber alleine gelassen. Einige gefallen sich darin Aussteiger existenziell zu beschädigen, der Szene gegenüber zu outen. Trotzdem wäre es wichtig medial Signale zu setzen, dass es sich lohnt die rechtsextreme mit Gewinn für alle zu verlassen und die Gründe zu erörtern, warum rechtsextremes Denken und Handeln in die Sackgasse der Unfreiheit führt.
Wenn man sich um einen Neuanfang, auch in beruflicher Hinsicht bemüht, dann dämmert einem schnell die Antwort der Zivilgesellschaft, dass es diesen Neubeginn in der Realität überhaupt nicht gibt. Ein fatales Signal, vor allem in Richtung Rechtsextremismus. Dort versteht man sehr gut, dass der gesellschaftliche Wille fehlt, auch ehemalige Extremisten wieder in die Gesellschaft eingliedern zu wollen. Das ist sicherlich das beste Druckmittel, Menschen in extremistischen Zusammenhängen zu halten, die sich eigentlich lieber verabschieden möchten. Eigentlich eine nicht hinnehmbare Situation. Offenbar fehlt aber der politische Wille, hier ein unüberhörbares Signal für eine Willkommenskultur zu setzen.
So geht das Spiel weiter und weiter. Die Gesundbeter versichern sich gegenseitig, dass sie auf der richtigen Seite stehen und reisen durchs Land, um über die Gefahr von Rechts aufzuklären. Das Publikum ist gebannt und starrt wie das Kaninchen auf die Schlange. In solchen Situationen wirkt das Spiel dann doch irgendwie lächerlich, ja geradezu wie ein Arzt, der seinen Patienten zwar eine Krankheitsprognose gibt, sich aber dann weigert einen Heilungsprozess vorzunehmen. Ausstiegshilfen geraten zunehmend an ihre Grenzen. Sie können sich noch so sehr um Deradikalisierung bemühen und Menschen einen anderen Weg, weg von einem engstirnigen Extremismus hin zu einer Akzeptanz von Vielfalt in einer Gesellschaft, bemühen. Am Ende steht immer die Frage danach, wie findet ein ehemaliger Extremist in die Normalität gesellschaftlicher Zusammenhänge zurück. Nicht gewünscht? Nicht im Blick oder einfach zu sehr mit Symbolpolitik beschäftigt? Die Gesellschaft ist zumindest an der Beantwortung dieser Frage nicht interessiert. Im Gegenteil, wie das Beispiel Angermünde zeigt, ist es die Politik selber, die Steine in den Weg legt.
Es gibt glücklicherweise aber auch positive Beispiele. So meldete vor einigen Tagen der MDR, dass der ehemalige NPD-Funktionär, Ingmar Knop Geschäftsführer der B&A Strukturförderungsgesellschaft GmbH in Zerbst, einer Tochtergesellschaft des dortigen Jobcenters wird. Wie Schmidt, hat auch Knop seinen Ausstieg aus der rechten Szene, der bundesweit mediales Aufsehen erregte, glaubhaft versichert. Die Verantwortlichen haben sich aber trotz Knops Vergangenheit für den Juristen entschieden, da er eine zweite Chance erhalten soll. Andreas Dittmann (SPD), Bürgermeister von Zerbst und Vorsitzender des Aufsichtsrates der Zerbster B&A Strukturförderungsgesellschaft, wird in einer Pressemitteilung zitiert. „Wir sind bereit, ihn mittels einer beruflichen Perspektive zu unterstützen, in der Mitte der Gesellschaft dauerhaft einen Platz zu finden.“ Unterstützung kam auch vom Anhalt-Bitterfelder Landrat Uwe Schulze (CDU) „Ich glaube und vertraue Herrn Knop.“ Mit der Tätigkeit bekomme dieser eine zweite Chance.« Solche Statements zeigen Zivilcourage und Mut. Leider ist das keine Selbstverständlichkeit, sondern die Ausnahme.
Zuerst erschienen bei EXIT-Deutschland[:]