Tim hat gefragt, zwei Aussteiger antworten. Heute starten wir mit der Beantwortung von Till’s Fragen, durch Felix und Maik.

Tim fragt: Unsere lokale Neonazikameradschaft bekam in den letzten Jahren junge Leute dazu. In wie weit ist es möglich als antifaschistisch aktiver Mensch auf junge Leute einzuwirken, die sich in rechtsradikalem Umfeld bewegen und auf ersten Demos gehen? Ein persönlicher Kontakt besteht bisher nicht. Brief/Information an deren Eltern und ihr soziales Umfeld ist wenig erfolgversprechend, da diese selbst rechts(offen) sind. Öffentliche Outings können zwar zukünftige Interessent_innen abschrecken, radikalisiert aber vermutlich die Geouteten…

Maik: Es ist vollkommen richtig, nicht mit Outings oder der Konfrontation mit der familiären Umgebung zu agieren. Damit spielt ihr den Rekrutierern voll in die Hände, die zivilcouragierte Menschen und linke Aktivisten als Feindbilder im Kopf des „Neuaktivisten“ etablieren. Ob man mit offener antifaschistischer Einstellung Erfolg haben kann, einen rekrutierten und radikalisierten Menschen aus rechten Fängen herauszulösen, wage ich zu bezweifeln, da der antifaschistische Akteur selbst einer freiheitsfeindlichen Ideologie zugeordnet wird, die eine menschliche und vor allem sachliche Diskussionsebene höchstwahrscheinlich nicht zulassen kann.

Da es sich hierbei um eine regionale Nazi-Kameradschaft handelt, empfehle ich folgendes:

Wehret den Anfängen und konzentriert Euch auf die Rekrutierungsmethoden der rechten Funktionäre. Setzt Euch inhaltlich mit deren Flyern, Aufklebern, öffentlichen Aktionen usw. auseinander und entwickelt demokratische Gegenargumente. Konfrontiert rechtsoffene Jugendliche und Erwachsene mit ihren Ressentiments und Angstbildern. Sagt nicht „Du bist ein Nazi, weil du Nazipropaganda liest oder Nazimusik hörst“, sondern diskutiert über deren Texte und Botschaften. Sollte anfangs der persönliche Kontakt schwierig sein, deckt ihn mit demokratischen Lektüren über den Briefkasten ein, schreibt ihm über die sozialen Netzwerke, schickt ihm Berichte von Aussteigern der rechten Szene oder konfrontiert ihn mit Opferberichten rechter Gewalt. Mit dieser Form der indirekten Ansprache erwirkt ihr zumindest, dass er eine zweite Sichtweise bekommt und somit eine Wahl hat. Sind die rechten Rekrutierer die einzigen mit ihren Parolen und einfachen Antworten, ist die manipulative Wirkung ihrer Propaganda unaufhaltsam.

Für mich persönlich war es entscheidend zu erkennen, dass ich diesen Teufelskreis auch wieder verlassen kann und außerhalb der Naziszene vorrangig als Mensch wahrgenommen werde. Während eine isolierende und ablehnende Haltung gegenüber aktiven Nazis eine klare gesellschaftliche Position ist, muss dem Hass und der Gewalt aber auch dann wieder die offene Hand entgegengebracht werden, wenn ein Mensch zweifelt und aufrichtig zurück in die demokratische und weltoffene Gesellschaft kehren möchte.
Fazit: Wehret der Rekrutierung und der Radikalisierung und lasst die Tür offen, die nach draußen führt.“

Felix: Man müsste sich den Einzelfall jeweils sehr genau ansehen, um überhaupt Erfolge verbuchen zu können: Was verspricht die Kameradschaft? Also z.B. welche Themen werden von der jeweiligen Gruppe wie stark frequentiert? Wie stabil sind die jungen Menschen, was genau treibt sie dort hin?
In vielen Fällen ist es so, dass relativ früh in der Radikalisierung die Welt in Gut („wir Nationalisten / Wir Deutsche“) und Böse / Schlecht („Die Globalisierer, die Kapitalisten / Die Juden, die Demokraten etc.“ ) unterteilt wird. Hier kann schon ein einzelnes Erlebnis zumindest diesen Standpunkt ins Wanken bringen, dadurch, dass sich jemand dieser „Bösen“ für die Person als Individuum interessiert.

Oftmals suchen junge Menschen, die sich in die rechtsradikale Szene begeben, tatsächlich positive Veränderungen für sich selbst, die Gesellschaft und alle Menschen- Hier bietet der Nationalsozialismus natürlich genug Angriffsfläche, um dies zu demaskieren. Mit Outingaktionen wird man die Person aller Wahrscheinlichkeit nach nur noch weiter isolieren, was ja in der Regel auch Sinn und Zweck dieser Aktionen ist. Es gibt durchaus Fälle, in denen die Neonazis durch ein solches Outing in der Szene-Hierarchie aufsteigen. Der Weg sollte, wenn man ihn versuchen mag, unbedingt über die inhaltliche Auseinandersetzung ablaufen.

Generell hilft sicherlich, sich Nazipropaganda durchzulesen, um vor einer etwaigen Debatte auch gebrieft zu sein. Ein Satz wie „ich will nur, dass das Volk in Sicherheit und Freiheit leben kann“ bietet einige Steilvorlagen. Den Begriff „Freiheit“ darf man in diesem Zusammenhang immer gerne hinterfragen: Aussteiger merken oft, dass sie sich darunter etwas ganz anderes vorgestellt haben, als dies die Ideologie vorgibt. Außerdem wäre da die Frage, warum man nur von „Volk“ spricht und nicht von „Bevölkerung“ schon angebracht.

Bei allen Diskussionen wird man aber nur denjenigen erreichen, der auch in seinem eigenen Kopf bereit ist, das neu erlernte Wissen einer kritischen Überprüfung zu unterziehen. Die anderen wird man in diesem Moment noch nicht erreichen – Für kleine Nadelstiche, die vielleicht Jahre später erst wirken, lohnt sich aber alleine der Versuch.

#CallForQuestions 1

#CallForQuestions Ihr habt Fragen? Wir suchen Antworten. Zu den Themen Rechtsextremismus und Ausstieg gibt es mehr Fragen als Antworten. Das wollen wir ändern und starten einen #CallForQuestions. Jetzt seid ihr gefragt. Was wolltet ihr schon immer mal von einem Aussteiger wissen. Sendet uns eure Frage via Privatnachricht bei Facebook und wir werden die Antwort dann auf www.ak-exit.de veröffentlichen. Natürlich – wir gehen davon aus, dass ihr das eh nicht macht – werden nur sachliche und ernstgemeinte Fragen beantwortet. Ihr fragt, wir antworten. Bis bald, wir sind auf eure Fragen gespannt.