Spätestens seit dem Mord an dem Regierungspräsident im Regierungsbezirk Kassel, Walter Lübcke, sind rechtsextreme Bruderschaften in die Wahrnehmung gesellschaftlicher Diskussion gekommen. Am 2. Juni 2019 um 0:30 Uhr fand ein Angehöriger Lübcke mit einer Schusswunde im Kopf leblos auf der Terrasse seines Wohnhauses vor. Nach erfolglosen Wiederbelebungsversuchen stellte die Kreisklinik Wolfhagen um 2:35 Uhr Lübckes Tod fest. Todesursache war ein Projektil einer Kurzwaffe, das aus kurzer Distanz in seinen Kopf geschossen worden war. Der mutmaßliche Täter soll Kontakte zum in Deutschland verbotenen Netzwerk «Blood & Honour» gehabt haben. Wir haben mit einem ehemaligen Mitglied einer Bruderschaft gesprochen und ihn über die Hintergründe befragt.

Eliten mit dem Nimbus der Gefährlichkeit

Als ich nach zweijähriger Anwartschaft und vorherigem Support endlich den Patch der Bruderschaft in den Händen hielt und mir eine Reihe von deutschen und europäischen Nationalsozialisten die Aufnahme in die „Familie“ mit diversen Ritualen garnierten war es ein unbeschreibliches Gefühl der Unantastbarkeit, einer Demut vor dem elitären Aufstieg und einer unabdingbaren Loyalität jedem gegenüber, der diesen Patch trug, sei es als Aufnäher oder Tattoo. Eine Loyalität, die nichts und niemand in Frage zu stellen hatte, solange nicht gegen die gemeinsame Ideologie und Weltanschauung verstoßen wurde. Selbst ein Tötungsverbrechen untergrub diese Verbundenheit zueinander nicht, sofern es gegen die Feinde des rechtsextremistischen Selbstverständnisses ging. Bruderschaft verpflichtet!

Kann da jeder mitmachen? Wie kommt man da rein?

In unzähligen Diskussionsrunden mit Jugendlichen, Schulungen von späteren Multiplikatoren oder auch Präventionen verspürte ich beim Thema Bruderschaften einen leichten Hang zur Faszination auf der einen Seite und eine Tendenz zum verharmlosenden Belächeln auf der anderen. Der Nimbus des „bad guy“ verschafft Selbstwertgefühl und Stärke mit Vertrauensvorschuss, was man beides vorher vielleicht nur marginal bis gar nicht zur eigenen Qualifikation zählen durfte. Das Prädikat „lächerlicher Macho Haufen mit Kutten Fetisch“ ließ hinter so einem niemals vermuten, dass er für die Bruderschaftsziele zu allem bereit ist, bzw. sich auch im Falle einer Inhaftierung auf die familiäre Fürsorge der Brüder verlassen konnte.

Nein, es kommt nicht jeder rein. Bruderschaften wählen sehr sorgfältig und mit viel Geduld ihren Nachwuchs aus. Es beginnt mit dem sogenannten Hangaround Status. Du darfst mit uns abhängen, dich in unserem Umfeld bewegen, zumindest dort, wo wir es zulassen. In diesem Status wird ein aufwendiges Profiling von dir und deinem gesamten Umfeld erstellt. Bist du ein Schwätzer oder hast du Eier, bist du zuverlässig oder lässt du dich vom System abhängig machen, bist du integer bei deiner Kameradschaft oder Partei? Kurz: Eignest du dich zum Rekrutieren in eine Hierarchie der psychischen Verpflichtung? Ist dem so, folgt der nächste Status, der Prospect (Anwärter). Mit dieser Aufnahme unterwirfst du dich der gesamten Bruderschaft und im speziellen nochmal deinem regionalen Chapter (autark handelnde Gruppe in festgelegten regionalen Grenzen). Der laienhafte Blick ergibt einen nach Ordonnanz handelnden und andienenden Büttel, der die Brüder zu Veranstaltungen fährt, vorbereitet und den Dreck wegräumt, sich oft auch zum Opfer von Erniedrigung und Ausnutzung macht, um am Ende der Pein den Patch zu verdienen um den höchsten Status als Member (Vollmitglied) zu erreichen. Was tatsächlich dahintersteckt macht verständlicher, warum bestimmte Extremisten auch noch nach Jahren der Unauffälligkeit von heute auf morgen die abscheulichsten Taten begehen.

Männerbündelei mit fruchtbarem Boden für spätere Einzeltäter und vernetzter Gruppen

Wer als Anwärter erst diente, wurde in seiner individuellen Sicht auf die eigene Lebensvorstellung gebrochen. Es gibt nicht mehr dich, sondern nur noch die Bruderschaft, das Chapter und die bibelgleiche Ideologie der nationalsozialistischen Weltanschauung. Eine vernetzte Organisation, welche sich am Habitus und der Hierarchie von Rockerclubs orientiert und von kleinen regionalen Bruderschaften ohne Dachverband bis hin zu weltweit bestehenden Chaptern und Landesorganisationen agiert. Es bestehen eigene Wirtschafts- und Finanzkreisläufe durch interne Kreditvergabe, Monopole auf rechtsextremistische Musikveranstaltungen, Merchandising und Labels, Strukturschaffung in mittelständigen Unternehmen zur Existenzsicherung der Member und der Kaderbildung für spätere politische Einflussfunktionen. So überschneiden sich nicht selten Parteifunktionen mit einer Mitgliedschaft in einer Bruderschaft. Vergleichbar sind hier elitäre Studentenverbindungen, welche bis ins hohe Alter auf allen Machtebenen ihre Studentenbrüder in Position bringen.

Oft unterm Radar der Sicherheitsbehörden

Wie kann es nun sein, dass spätere Täter, Gruppen oder Unterstützer von Gewalttaten so oft für den Verfassungsschutz nicht verifizierbar scheinen und wie Schläfer durch das Raster der Behörden fallen? Bestimmte Bruderschaften existieren seit Jahrzehnten und gehen in manchen Fällen sogar über zwei Generationen. Nicht alle Bruderschaften sind verboten, so besteht noch heute zB. in Deutschland die Nr.: 1 der rechtsextremistischen Bruderschaften ohne Verbot sämtlicher Strukturen. Für einzelne verbotene Vereinigungen haben sich die unbehelligten Trittbrettfahrer längst zu deren Nachfolgeorganisationen entwickelt, welche die Geschäfte legitim als auch im Untergrund weiterführen. Zudem handeln Bruderschaften vermehrt unauffällig. Die eigene Existenz ist in der rechtsextremistischen Szene bekannt und wird zu 100% anerkannt. In der Öffentlichkeit aber, nimmt sich der Verbund zurück. Es gibt keine Bekennerschreiben oder Aktionsvideos. Es wird sich konspirativ getroffen. Der Verbund ist aufgrund der Aufnahmeprozedur nahezu immun gegen das Einschleusen von Spitzeln und Agenten der Sicherheitsbehörden. Eine Art berechtigte Rente vom aktiven Soldaten gibt es nicht. So sind die Behörden nach geltender Rechtslage gezwungen, nach einer festgelegten Zeit, unauffällig lebende Akteure vom Beobachtungsschirm zu nehmen. Das solche gesetzlichen Regelungen fatale Fehlentscheidungen sind, zeigen frühere aber auch jüngst stattgefundene Angriffe auf den Staat und seine Protagonisten sowie gegen Ausländer und gesellschaftliche Feinde der nationalsozialistischen Ideologie, unter welcher alles legitimiert ist.

Sind wir angesichts solcher starken Strukturen chancenlos?

Das sind wir nur dann, wenn wir uns durch politische Unterlassung, strategischer Fehler und der Verhinderung der Arbeit von ausgewiesenen Praktikern selbst die Chancen aus der Hand nehmen lassen. Die rechtsextreme Szene kann von Verfassungsschützern und ähnlichen Behörden im Falle von Bruderschaften oft lediglich von außen beobachtet werden. An eine interne Bewertung der Strukturen und Entwicklungen gelangt man allenfalls über ehemalige Mitglieder dieser Kreisläufe oder über Initiativen, welche sich durch Feldanalysen und jahrelanger Recherchen mit der Hilfe von Aussteigern und Fachkompetenzen dieser Aufgabe widmen. Es sind nämlich ausschließlich diese Organisationen und Personen, die bei einer erneuten menschenfeindlichen Tat, einem staatsfeindlichen Akt des Terrors oder einer freiheitsfeindlichen Aktion nicht überrascht sind, sondern immer damit rechnen und davor warnen…. leider zu oft ungehört.

Ich bin ein ehemaliger Member, ausgestiegen und anonym, weil ich um die Gefährdung ALLER durch solche Strukturen weiß.